Thüringen
2006.05.03. 14:55
Bundesländer-Serie: Thüringen
Von Antje-Maria Lochthofen Luther und Laser, Bach und Bäder, Ski und Schiller und immer wieder Goethe – Thüringen ist die Heimat der deutschen Klassik, die Wiege der deutschen optischen Industrie und das grüne Herz Deutschlands. „Herrlich, herrlich“, rief Goethe einst mit Blick auf die weiten Wälder. Natur und Kultur begleiten den Besucher auf Schritt und Tritt – eine Tour durch Thüringen, eine Sternfahrt in die Mitte Deutschlands. Bundesländer-Serie, Teil 1
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Wenn man durch den Schnee am Rennsteig läuft, ist die Welt in Ordnung und Thüringen sowieso. Es muss nicht Schnee sein, auch dieses unvergleichliche Frühlingserwachen, die Sommerluft oder die Herbstblätter tun es. Man spürt die Stille auf der Haut und fragt sich, ob auch nur ein Mensch in Frankfurt ahnt, was es da so knapp vor seiner Haustür gibt. Thüringen ist wie gemacht für ein langes Wochenende, seit neuestem mit Wellness-Angeboten, Nordic Walking, Ski-Ausleihe und schon immer mit dem unverwüstlichen Rennsteig, auf dem sich die Wanderer mit „Gut Runst“ grüßen. Das bedeutet „Komm gut weiter“, ist aber nicht Pflicht, auch ein „Glückauf“ wird gern erwidert.
Freundliche Leute, diese Thüringer, von alters her gütig, fast wie die heilige Elisabeth, die als Vierjährige aus Ungarn auf die Wartburg kam, verheiratet wurde, aber in allem Prunke die Alten und Kranken nicht vergaß. Ihre Großzügigkeit mochte Landgraf Ludwig der IV. nicht so gern. Als sie wieder einmal mit einem Korb voller Brot ins arme Land hinabstieg, hielt sie ihr geiziger Gemahl auf, fragte böse, was sie wohl unterm Mantel trage. Sie schlug selbigen zurück, und siehe da, ein Korb voller Rosen. Seither kennt das Abendland das Rosenwunder. Und Thüringen feiert in jedem Jahr Menschen, die in der Stille Gutes tun, mit der Thüringer Rose; das ist viel Ehre und eine Medaille aus Porzellan. Im Sommer 2007 wird es zum 800. Geburtstag der heiligen Frau eine große Landesausstellung geben, gemeinsam mit dem Nachbarland Hessen, das den Sterbeort Marburg, einst Ur-Thüringer Land, von Elisabeth einbringt.
Thüringen hofft auf viele Gäste, die möglichst lange bleiben und, man ahnt es, auch Geld ausgeben. Denn das Land hat es nötig, auch wenn man es ihm nicht ansieht mit seinen vielen prächtigen Schlössern und Burgen. Eine Augenweide, was sich da Fürsten und Herzöge leisteten, plus Kunstsammlungen, Raritätenkabinetten und natürlich den Theatern. Jetzt klagen die jeweiligen Kulturminister mit den Stadtvätern im Verein über die enormen Summen für den Erhalt der Schönheit. Glanz braucht Politur.
Weimar, natürlich immer Weimar, wo sich Goethe und Schiller um 1800 gegenseitig zu immer neuen Meisterwerken anregen. Jahr um Jahr bringt Schiller seine Dramen auf die Bühne, Goethe schreibt Wilhelm Meister und nimmt die Arbeit am Faust wieder auf. In dieser Zeit war die thüringische Residenz die unbestrittene geistige Hauptstadt Deutschlands. 1805 stirbt Schiller, für Goethe ein schwerer Verlust. 1806 im August stürzt das Heilige Römische Reich Deutscher Nation in Trümmer. Der Staat Preußen bricht zusammen. Als französische Krieger nach der gewonnenen Schlacht von Jena und Auerstedt plündernd durch Weimar ziehen, wirft sich Goethes Gespielin Christiane Vulpius vor seine Tür und hält die Soldaten auf. Schreckliche Tage im Oktober, so um den 14. bis zum 17. herum. Am 19. Oktober 1806 traut Pfarrer Günther das Paar.
Wenn Weimar zu eng wurde, zog sich Goethe nach Jena zurück. Zum Arbeiten. Gutes Klima dafür, bis heute. Am Institut für Molekulare Biotechnologie waren Jenaer Forscher an der Entschlüsselung des menschlichen Erbgutes beteiligt. Im Frühsommer 2000 ging die Nachricht um die Welt, zusammen mit den Warnungen vor Eingriffen ins menschliche Erbgut. Wer noch nie etwas vom Chromosom 21 gehört hat, der kennt womöglich Carl Zeiss oder Ernst Abbe. Der Unternehmer und der Wissenschaftler legten im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts den Grundstein für einen heute wieder florierenden High-Tech-Standort, mit Schwerpunkt Optik und Feinmechanik. Carl Zeiss Jena, Jenoptik, Schott Jenaer Glas und Jenapharm sind international ein Begriff. 50 Prozent Exportanteil, das ist überdurchschnittlich. Zeiss sei Dank!
Ja, die Vergangenheit hat Spuren hinterlassen. Wo wäre sie schöner zu betrachten als auf dem Jacobskirchhof in Weimar. Cranach liegt hier, Schiller lag da, er wurde umgebettet, und Christiane Vulpius ist hier. Ihr Grab erkennt man an stets frischen Blumen. So viel Verehrung für Liebe macht Mut. Den braucht man auch, sieht man in das andere Gesicht der Stadt. Was mit der Vertreibung der Kunstschule Bauhaus begann, endete in Buchenwald auf dem Ettersberg, jenem Ort, an dem Goethe und Eckermann ihre Spaziergänge pflegten. Die Nazis ermordeten in der Hölle des Konzentrationslagers 56000 Menschen. Und noch einmal 7000 starben nach dem Krieg, als aus dem KZ das sowjetische Speziallager 2 wurde, in dem Kriegsverbrecher, aber auch Unschuldige, interniert waren. Geist und Grauen, beides gehört zu Weimar, auch wenn es schmerzt. Beim Kunstfest in jedem Sommer, dessen viel beachtete Intendantin den schönen Namen Wagner trägt, Nike Wagner, ist zu betrachten, wie eine Stadt und ein Land damit umgehen. Das Eröffnungskonzert ist stets den Opfern gewidmet. Das verdient Respekt und rührt das Herz.
Die Frau hat Sympathie, und solche gab es immer in der Stadt. Zum Beispiel die Herzogin Anna Amalia. Sie verfügte 1761 den Umbau eines fürstlichen Wohnhauses zur Bibliothek. Jener, die im Herbst 2004 in Flammen stand und Bücherfreunde der ganzen Welt enger zusammenrücken ließ. Die Kosten der Sanierung des Unesco-Weltkulturerbes werden auf 11,4 Millionen Euro geschätzt. Allein durch private Spenden kamen bis jetzt fast zehn Millionen für die Restaurierung und den Ersatz von Büchern zusammen. Wenn das kein Bürgersinn ist. Deutschlands berühmter Regisseur Peter Stein liest den Wallenstein in Weimar, in einem alten Elektrizitätswerk. Auf die Bühne will er die Trilogie im nahen Frankfurt bringen. Es hängt, wie könnte es anders sein, am Gelde.
Oder Erfurt, Weimars ewige Rivalin, reich geworden durch Kaufmannssinn. Die mittelalterliche Altstadt lockt mit prächtigen Fachwerk- und Renaissancehäusern. Die Krämerbrücke ist vollständig mit Häusern bebaut. Die Bewohner können aus dem Fenster angeln. Und dann erst der Domberg mit Mariendom und Sankt Severi. Beide Wahrzeichen sind über eine großzügige Freitreppe zu ersteigen. Das ist große Oper, ein Ensemble, wie es seinesgleichen nicht gibt in Deutschland. Und aus dem Inneren schaut der Wolfram von seinem Bronzeleuchter durch die Jahrhunderte, seit 1157. Er hat nur eine Botschaft, nimm dich nicht so wichtig mit deinen kleinen Sorgen.
Unmöglich, Cranach zu vergessen. Ihm verdankt die Nachwelt ihr Lutherbild. Als Junker Jörg übersetzte er auf der Wartburg das neue Testament. Sein Porträt hängt in Weimar, schön zum Verlieben, wäre da nicht Katharina von Bora, die mit strengem Blicke alles in die Flucht schlägt, was ihrem Gemahle zu nahe kommt. Wesentlich sanfter, die Familie Bach. Ein kleines Dorf namens Wechmar, bei Gotha gelegen, rühmt sich als Wiege des Geschlechts, richtete ein Museum ein und feiert Feste, eines prächtiger als das andere. Noch gibt es einige Zweifler an diesem Ursprung, aber die versinken im Orgelklang.
Bach bekam seine erste Kantorenstelle in Arnstadt. Nicht weit, in Dornheims wunderbarer Dorfkirche, wurde er getraut. In diesen Tagen ist es ein bisschen schwieriger mit der ersten Stelle in Thüringen und mit dem Heiraten auch. Viele junge, begabte Menschen gehen weg, dahin, wo es Arbeit gibt. Aber Hoffnung ist. Die Thüringer Universitäten, die Erfurter wurde nach der Wende neu gegründet, haben allesamt einen guten Ruf, sie ziehen Jugend ins Land. Und manche sind so gut, dass große Konzerne ganze Jahrgänge aus den Hörsälen abwerben. An der Technischen Universität in Ilmenau kennt man das. Elektrotechnik, Informatik, Maschinenbau, vielleicht nicht unbedingt sexy, die Fachrichtungen, und nicht jeder Student in Ilmenau wird das wichtigste Aushängeschild der Stadt kennen. Aber was macht das schon, Goethe wird es verwinden, gut gefüllte Börsen wusste er zeitlebens zu schätzen. Und so ist über allen Gipfeln Ruh, ob es die Studenten nun wissen oder nicht. Vielleicht erfahren sie es ja später einmal in den USA, in Japan, in Russland oder in Frankfurt. wo Manager so gerne den Geheimen Rat zitieren, auch Wanderers Nachtlied: Warte nur, balde / Ruhest auch du.
Thüringen, das grüne Herz Deutschlands. Die Menschen hatten nach der Wende keine Schwierigkeiten mit ihrer Identität. Im Gegenteil, München liegt östlicher als Erfurt, sollen die Bayern nur kommen und ihnen etwas vorschwärmen. Und erst die Frankfurter, denen die Thüringer gern mit auf den Weg geben, dass Goethe zwar bei ihnen geboren ist, seine Familie väterlicherseits aber aus Artern stammt. Tiefe Thüringer Provinz übrigens. Vielleicht werben die Thüringer zu wenig für sich, aber vielleicht sind sie auch Schlitzohren und wollen ihre Schätze für sich behalten. Den Schnee und allen Glanz darüber.
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