Baden Würtemberg
2006.05.03. 15:01
Bundesländer-Serie: Baden-Württemberg
Von Josef-Otto Freudenreich Dichter und Tüftler, Genuss und Geschäftstüchtigkeit: Die Klischees über die Menschen und ihre Eigenschaften im Südwesten klaffen weit auseinander. Tatsache ist: In Baden-Württemberg sind Weltfirmen wie Bosch, Porsche, DaimlerChrysler oder SAP genauso zu Hause wie hochspezialisierte Weltmarktführer aus dem Mittelstand. Hier dichteten einst Schiller, Hesse und Hölderlin und heute die Hip-Hopper „Massive Töne“. Hier gibt es handgeschabte Spätzle als Nationalgericht und zugleich die meisten Sterneköche. Einblicke in ein Land mit vielen Gesichtern. Bundesländer-Serie, Teil 2
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Wer diesen Begriff erfunden hat, weiß niemand. „Musterländle“ heißt er und wird gemeinhin für dieses Land zwischen Main und Bodensee verwendet. Man kann so seine Ahnung haben, was es bedeuten könnte, dieses Muster und dieses Ländle. Das „le“ ist einfach. Damit verkleinern die Badener und die Schwaben alles, was ihnen groß und wichtig erscheint. Wenn der Vorstandschef eines Weltkonzerns, von denen es hier etliche gibt, in seine Villa einlädt, spricht er von seinem „Häusle“. In seiner Garage stehen mehrere „Autole“, in der Regel Daimler, an denen das Typenschild abgeschraubt ist. Das Diminutiv korrespondiert dabei mit einer weiteren typischen schwäbischen Eigenheit: der tiefen Abneigung gegen allen Protz. Mit dem „Muster“ ist es schwieriger. Soll das Land ein Vorbild sein? Für was, für wen? Ist uns nicht immer eingebläut worden, schön bescheiden zu bleiben? „Net gschimpft isch gnuag globt” – mit diesem Ausdruck arger Nüchternheit sind ganze Generationen von jungen Schwaben und Badenern davor bewahrt worden, dem Laster des Narzismus’ zu verfallen.
Leisten Sie sich mal den Spaß und geben im Internet den Suchbegriff „Miss Baden-Württemberg“ ein. Was finden Sie an oberster Stelle? Die Schönste im „Ländle“ etwa? Weit gefehlt. Bei „Miss Baden-Württemberg“ handelt es sich um die Prämierung der Kuh Leoni aus der Zucht von Simpert Dangelmaier. Martin Walser, der berühmte Dichter vom Bodensee, spricht in diesem Zusammenhang gerne von einem „nach innen tendierenden Land“. Das hat seinen Charme, gewiss, ist aber im Zeichen der Globalisierung sehr gallierhaft. Und so hat die Landesregierung, deren Chef im Urlaub am liebsten in der Walser’schen Heimat radelt, beschlossen, dass Schluss sein müsse mit dem Licht unter dem Scheffel. Geboren ward die Kampagne „Wir können alles – außer Hochdeutsch“, was man neudeutsch einen Paradigmenwechsel nennen könnte im Selbstverständnis der einheimischen Bevölkerung.
Anfangs ist darüber viel gelacht worden, und die Spötter haben gefragt, ob die Regierung vielleicht die „Let’s putz“-Aktion des Stuttgarter Stadtoberhauptes gemeint hat. Für Nichtschwaben: Das ist die Reanimation der legendären Kehrwoche, die den Bürger zur Reinigung der Flure und Gehwege verpflichtet und die traditionell und landesweit am Samstagvormittag erledigt wurde. Das massenhafte Putzen unter oberbürgermeisterlicher Anleitung wurde aber offenbar notwendig, weil sich bei den Jüngeren die Unsitte breitgemacht hat, nur noch zu kehren, wenn Dreck herumliegt.
Doch den Kritikern ist die Häme bald im Hals stecken geblieben, als ihnen aufgelistet wurde, was wir wirklich können, und wovon wir – in aller Unbescheidenheit – reden müssen. Von der europaweiten Nummer eins in Sachen Hightech, der Rolle als Exportweltmeister und natürlich von DaimlerChrysler, Porsche, Bosch und Boss, die in der Welt zu Hause und in Baden-Württemberg daheim sind. Von den vielen Mittelständlern wie Fischer (Dübel), Stihl (Sägen) und Würth (Schrauben) bis zu Ritter Sport (Schokolade). In Baden-Württemberg sitzen überall eifrige Schaffer und Tüftler, die so viele Patente anmelden wie nirgendwo sonst in Deutschland. Dieser Erfindergeist habe mit der Rohstoffarmut und dem Protestantismus zu tun, sagen die Historiker und verweisen darauf, dass dieser Glaube es den Menschen verwehre, auf dumme Gedanken zu kommen. Daraus wird oft abgeleitet, die Schwaben könnten zwar „schaffe, schaffe Häusle bauen“, aber ansonsten hielten sie es mit ihrem spartanischen Dichter Eduard Mörike: „Mir macha kein Lebtag, mir halta kein Tanz.“
Das wird uns Schwaben, von den genusssüchtigen Badenern ganz zu schweigen, nicht gerecht. Es mag ja stimmen, dass unsere Scheidungsrate analog zur Arbeitslosen- und Kriminalitätsquote, die niedrigste ist in Deutschland. Wahr ist auch, dass wir unser Herz nicht auf der Zunge tragen und öffentlich zur Schau getragenen Frohsinn eher degoutant finden. Der Schwabe lässt sich auch ungern durch direkte Fragen zu schnellen Antworten drängen. Lieber schiebt er ein bedächtig langsames „ha noi“ dazwischen, um Zeit zum Abwägen zu gewinnen, zum Nachdenken über Vor- und Nachteile des Gesagten. Gründeln gehört in der Heimat von Schiller, Hölderlin, Hesse und Uhland eben dazu.
Aber glaube keiner, wir wüssten nicht zu leben. Warum wohl sind die schwäbischen Kneipen in Berlin so gut besucht? Wegen des Trollingers im Henkelglas, des Rostbratens mit Spätzle und der Maultaschen natürlich. Schauen Sie mal in den Guide Michelin und Sie werden entdecken, dass von 196 Sternerestaurants 52 in Baden-Württemberg liegen. Harald Wohlfart, der Dreisternekoch in den Baiersbronner Tonbach-Stuben, hat Voranmeldefristen, die sich über Monate ziehen. Das ist doch auch eine Art von Wirtschaftswunder.
Warum wohl gehen die Schwaben so gern ins Theater? In das Stuttgarter Staatstheater, das größte Dreispartenhaus in Deutschland, das sich in schöner Regelmäßigkeit mit dem Titel „Opernhaus des Jahres“ schmücken darf. Ins Ballett, das allgemein als „Wunder“ bejubelt wird, ausgelöst durch den großen Choreographen John Cranko und weitergeführt von Marcia Haydeé und Reid Anderson. Und wo gibt es eine Bühne wie im Gasthof Linde in Melchingen, oben auf der Schwäbischen Alb, wo sie Stücke von Eduard Moerike, Peter Härtling und Franz-Xaver Kroetz spielen, und der Tübinger Rhetorikpapst Walter Jens immer in der ersten Reihe sitzt? Wir gehen dorthin, weil wir neugierig sind und auch heimlich anarchistisch. Die schönen Künste als Gegenprogramm zum Pietismus, dem der Müßiggang als aller Laster Anfang erschien, das „pfupfert“ uns Schwaben, wie wir sagen, wenn uns etwas reizt. Und wenn diese kleinen Fluchten auch noch standesgemäße Ziele haben, sind wir stolz und vergessen für einen Moment unsere Angst davor, von aller Welt, vor allem von München, für Provinzlinge gehalten zu werden.
Stuttgart, Landeshauptstadt und Hauptstadt des Hip-Hop, der Wallfahrtsort der Rapper, das ist so ein Ziel. Das hört sich gut an und spielt sich zwischen den „Fantastischen Vier“ und der Gruppe „Tiefschwarz“ ab, was in etwa die ideologische Bandbreite des Landes umreißt. Im legendären Club 0711, benannt nach der Stuttgarter Telefonvorwahl, fanden sich bis vor kurzem die Söhne und Töchter gutbürgerlicher Versicherungsvertreter und Ingenieurinnen ein, und hatten nichts dagegen, wenn die „Fantastischen Vier“ erklärten: „We are from the Mittelstand“. Das ist Rebellion auf Schwäbisch und auf Badisch – leicht subversiv und wirtschaftlich sehr erfolgreich.
Wenn es sich überall so leben ließe, hat Martin Walser einmal gesagt, dann hätten die Apokalypsehausierer Pause. Vom „Musterländle“ spricht er nicht. Er merkt nur an, dass dem nicht zu helfen ist, der uns nicht toll findet.
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