Bayern
2006.05.05. 11:08
Bundesländer-Serie: Bayern
Von Johannes Willms Natur und Technik, Kultur und Genuss gehen in Bayern eine fruchtbare Liaison ein. Das südlichste Bundesland glänzt als Reiseziel und HightechRegion, Kulturland und Fußball-Hochburg. Dies verdankt der Freistaat nicht zuletzt seinen Menschen. Sie sind gastfreundlich und geschäftstüchtig, schick und auch mal grob – lebenslustig und dickschädelig wie schon König Ludwig II., der eins der schönsten Schlösser hinterließ: Neuschwanstein. „Grüß Gott in Bayern!“ Bundesländer-Serie, Teil 2
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Vielen gilt Bayern noch immer als eines der größten Menschheitsrätsel. Was vor allem verwirrt, sind die hier vermeintlich besonders zahlreich anzutreffenden Paradoxien. Folkloristisch aufgeputzte Tradition ist in Bayern beispielsweise verbunden mit hochtechnologischer Fortschrittlichkeit. Franz-Josef Strauß, der frühere Ministerpräsident, soll diesen scheinbaren Widerspruch mit der hübschen Definition versöhnt haben: „Konservativ sein heißt, an der Spitze des Fortschritts marschieren.“ Die bekanntgriffige Formel dafür lautet heute: Lap-Top und Lederhose. Diese und andere Paradoxien mehr haben dem Kabarettisten Gerhard Polt zu der Einsicht verholfen, dass „die Zahl der bayerischen Klischee-Träger immer kleiner, das Klischee aber seltsamerweise immer größer wurde.“
Vom Main bis an die Alpen
Die Bayern schert das alles umso weniger, als sie längst wissen, dass sie nicht mehr als die Hinterwäldler der Nation gelten. Dem entspricht, dass viele Deutsche gerne in Bayern, am liebsten in München leben würden. Wie häufig im Leben, so verbergen sich auch in diesen Wünschen einige hartnäckige Missverständnisse. Beispielsweise dürften die meisten, die von solchem Sehnen geplagt werden, Bayern mit Alt-Bayern verwechseln, grob gesprochen mit jenem Raum, der sich zwischen der Donau und den Alpen erstreckt. Bayern reicht aber bis zum Main, dem „Weißwurstäquator“, und umfasst damit Landschaften, die keineswegs der Jodelidyllik des Voralpenlands ähneln, sondern ihren eigenen Reiz haben. Entsprechendes gilt aber auch für München, denn nicht nur nach den „gefühlten“ Lebenshaltungskosten nimmt die Stadt den Spitzenplatz unter allen deutschen Kommunen ein. Das alles fällt aber nicht ins Gewicht, denn Bayern und insbesondere München strahlen ein Selbstbewusstsein aus, das sich hierzulande allenfalls noch mit dem der Stadtstaaten Hamburg und Bremen vergleichen lässt. Seinen Grund hat dies darin, dass Bayern als einziger unter den deutschen Flächenstaaten seine territoriale Gestalt seit der großen napoleonischen „Flurbereinigung“ von 1806 nicht mehr verändert hat. Dieses Herkommen ist die Ursache für eine weitere, Bayern kennzeichnende Paradoxie: Damals wurden höchst unterschiedliche Landschaften unter dem Dach eines Staatsbewusstseins vereinigt, dessen Protagonist, die bayerische Verwaltung, klug genug war, deren je besondere kulturelle Prägungen und Traditionen zu respektieren. Das erhellt, warum Brauchtum in Bayern noch heute mehr und anderes ist als bloße Folklore. Das hat Folgen, die anderswo womöglich belächelt werden, denen sich aber, wer in Bayern politisch erfolgreich sein will, beugen muss. Deshalb hat Edmund Stoiber, der hiesige Ministerpräsident, neben Smoking und Cut auch die Uniform der Gebirgsschützen im Schrank hängen.
Die fränkischen, schwäbischen und altbayerischen Landesteile, aus denen der Freistaat zusammengesetzt ist, bedingen eine Gemengelage, die von der seit „Menschengedenken“ allein regierenden Christlich-Sozialen Union (CSU) politisch artikuliert wird. Das ist aber nur der offensichtliche publikumswirksame Teil der erfolgreichen Strategie, mit der es der Partei regelmäßig gelingt, Wahl-Ergebnisse von über 50 Prozent zu erzielen. Der andere, weniger sichtbare, aber ebenso wichtige Teil der Strategie ist die konsequente Realisierung eines Bürokratentraums, der da heißt: Reform und Fortschritt durch Verwaltung. Der Umsetzung dieses Traums ist der stille, aber radikale Strukturwandel der vergangenen 40 Jahre zu verdanken: Aus dem einstigen agrarwirtschaftlichen Armenhaus wurde eine schmucke Konzernzentrale für Finanzdienstleister und Hightech-Industrien. Heute ist Bayerns Wirtschaft stärker als die Belgiens oder Schwedens, geht ein Viertel dessen, was im Freistaat produziert wird, in den Export. Bayern rangiert auf Platz 20 der weltweit größten Exportländer.
Vom Agrarland zur Hochtechnologie
Bayern, so kann man angesichts dieser Entwicklung feststellen, hat seine Unterentwicklung als Chance begriffen und ist vom Agrarland unter Auslassung der traditionellen Schwerindustrie unmittelbar auf die Hochtechnologie gesprungen. In Martinsried bei München entstand, von der Regierung des Freistaats üppig gedüngt, eine in Deutschland einmalige Firmenplantage von in der Biotechnologie tätigen Unternehmen. Für das Image von Bayern stehen aber weniger die im Großraum München konzentrierten Hightech-Unternehmen der Computer-, Flugzeug- oder Raumfahrtindustrie, auch nicht Siemens, als vielmehr die Bayerischen Motorenwerke (BMW) oder Audi in Ingolstadt und, last but not least, die drei Münchner Großbrauereien, die das Biermonopol auf dem alljährlichen Münchner Oktoberfest haben, das als das bekannteste und größte Volksfest der Welt gilt. In diesem Zusammenhang zu nennen ist auch der FC Bayern München, der nicht nur in der Fußball-Bundesliga führend, sondern auch im europäischen Spitzenfußball regelmäßig ganz vorne vertreten ist.
Dennoch ist nicht aller wirtschaftlicher und kultureller Glanz in München konzentriert. Das Beispiel Kultur zeigt, dass auch die Regionen außerhalb Münchens viel zu bieten haben. Welches andere Bundesland hat schon etwas den Bamberger Symphonikern Vergleichbares an die Seite zu stellen oder gar den Bayreuther Richard-Wagner-Festspielen? Die Prominenz gibt sich alljährlich in der Sommerzeit ein Stelldichein auf dem „Grünen Hügel“. Seltener zwar, aber nicht minder bekannt und kaum weniger besucht sind die Oberammergauer Passionsspiele, während die Märchenschlösser Ludwigs II., Neuschwanstein, Herrenchiemsee und Linderhof, das ganze Jahr über Besucher aus aller Welt ebenso anlocken wie die über das Land verteilten Barockkirchen, Schlösser und Klosteranlagen. Dieses reiche Erbe ist eine Verpflichtung, die gepflegt werden will, und wenn München mit der Pinakothek der Moderne ein drittes Kunstmuseum von Weltrang erhält, dann muss wenigstens auch in Aschaffenburg, in Nürnberg oder in Bernried eine staatliche Galerie oder Sammlung entstehen, mit der sich „Standortnachteile“ ausgleichen lassen.
Das ändert natürlich nichts daran, dass München das Zentralgestirn ist, das auf die bayrischen Landesteile positiv ausstrahlt. Hier machen nicht nur die Münchner Philharmoniker die Musik oder bedeuten nicht nur die Bretter der Bayrischen Staatsoper, des Residenztheaters oder der Kammerspiele die Welt. Aber ohne die Regionen, das muss man auch in München zugeben, wäre allein kein Staat und schon gar nicht ein „Freistaat“ zu machen.
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