Brandenburg
2006.05.09. 16:37
Bundesländer-Serie: Brandenburg
Von Alexander Gauland Fontaneland oder Touristenland, Preußenland oder Zukunftsland? Brandenburg gestern und Brandenburg heute – das sind zwei Seiten einer Medaille: Marlene Dietrich und Medienstadt, Sanssouci und Biosphärenreservate, Spreewald und Life Sciences, Friedrich der Große und ebay. Mit der Devise „Zukunft braucht Herkunft“ setzt sich Ministerpräsident Matthias Platzeck für ein menschliches und modernes Brandenburg ein. Ein neues Bundesland auf dem Weg zu sich selbst. Ein Streifzug durch Deutschlands Hauptstadt-Region. Bundesländer-Serie, Teil 5
Nein, es ist nicht die Toskana, es sind auch nicht die bayerischen Schlösser und Seen. Die Landschaft ist karg, weit und ein wenig traurig. Das Land zwischen Elbe und Oder, das Kernland des alten Preußen gehörte nie zu den Sehnsuchtslandschaften der Deutschen. Man fuhr hindurch zu den mondänen Ostseebädern oder in die Weiten Ostpreußens und Masurens, auf die Kurische Nehrung, nach Königsberg oder Danzig. Brandenburg war zwar schon Kolonialland „Ostelbien“, aber eben noch nah an Magdeburg und Halberstadt, wo die deutschen Kaiser gotische Dome mit römischen Steinen gebaut hatten. Brandenburg liegt im Schnittpunkt zweier Welten, der zum Westen gehörenden mittelalterlichen und der in den Osten reichenden preußisch-slawischen. Irgendwo zwischen Havelberg und dem Oderbruch schlägt das Herz Brandenburgs.
Fontanes Wanderungen
Dass diese Landschaft aus Sand und Kiefern heute dennoch zu den großen europäischen Kulturlandschaften zählt, verdanken die Brandenburger einer Dynastie und einem Dichter. Die Hohenzollern verwandelten die Seenlandschaft um Berlin und Potsdam in ein Kunstwerk, ein weltliches Arkadien, dessen Schönheit im seltsamen Gegensatz zu dem sandigen Boden steht, dem es abgerungen wurde. Es ist ein Wunder im Zentrum der Streusandbüchse – wie die Mark verachtungsvoll genannt wurde –, das in Europa seinesgleichen sucht. Man muss schon die Toskana, Venedig oder die Loire-Schlösser aufsuchen, um Ähnliches zu finden, und man begreift das Staunen der vielen Besucher über diese Anstrengung zur Schönheit. Und statt dass die „Katen“ des märkischen Adels daneben in der Bedeutungslosigkeit versanken, hat sie Theodor Fontane in seinen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ auf gleiche Höhe gehoben. Die Hohenzollern bauten sich mit Sanssouci, Charlottenburg, Rheinsberg, Glienicke, Babelsberg, Charlottenhof, Paretz und dem Cecilienhof in die Herzen ihrer Untertanen. Fontane rettete Ruppin, Gransee, Wustrau, den Oderbruch, Friedersdorf und den Barnim vor dem Vergessen – oder besser – vor dem Nichtentdecktwerden. Und heute sieht man manchen Besucher vor den Schlössern statt mit einem ordinären Führer mit den „Wanderungen“ in der Hand stehen. Brandenburg, so kann man getrost sagen, ist eine Schöpfung Fontanes, nachdem es längst in Preußen aufgegangen war. Und noch heute erfährt man über Menschen und Landschaften mehr aus dem „Stechlin“ als aus jedem Handbuch über Land und Leute.
Brandenburg hat eine lange Vorgeschichte unter den Askaniern und den frühen Hohenzollern, die aus Süddeutschland kamen und davor Burggrafen von Nürnberg waren, erlebte eine kurze Epoche künstlerischer Genialität, nachdem es politisch längst als Kernland der Dynastie von dem eigentlichen Preußen abgelöst worden war, und sucht heute seine Zukunft. Brandenburg ist alles, was von Preußen geblieben ist, eine Idee, die einen Staat hatte – oder wie die Kritiker meinen, eine Armee, die ihn besaß. Nur einmal ist Brandenburg an der tête geritten, nicht in den Schlachten des großen Friedrich, sondern danach, nach seinem Tod, von 1790 bis 1840. Der preußische Klassizismus ist eine Brandenburger Schöpfung, und seine Vertreter sind fast ausnahmslos hier geboren, Gilly und Schinkel, Schadow, Rauch und Persius. Für ein Menschenalter bestimmten sie den Stil der Architektur und Skulptur in ganz Europa. Alle großen Bauten Berlins entstanden zwischen 1820 und 1840 in dieser Manier, die Neue Wache, das Schauspielhaus und das Alte Museum. Es ist verblüffend und kaum nachzuvollziehen, dass Deutschlands geistiges Zentrum für eine historische Sekunde nicht mehr im Geniewinkel des Südwestens, sondern in der Rüben- und Kartoffelwelt zwischen der Prignitz und der Uckermark lag. Nimmt man die Schreibenden hinzu, Heinrich von Kleist, die Schwerins, die Arnims, Fouqué und Chamisso, so wird auch der romantische Impetus aus der Mark in die Welt getragen. Fast alle Künste wachsen plötzlich auf dem Boden, der zum Schluss mit Blechen, Menzel und Liebermann auch noch in der Malerei die anderen Regionen Deutschlands hinter sich lässt. Doch es dauerte nur einen Sommer, ein kurzes Jahrhundert, der Rest ist ein langer Abschied, zu dem wohl Liebermanns Bilder am besten passen.
Preußens Erbe
„Die Mark“ so der Publizist und Verleger Wolf Jobst Siedler, der beste Kenner ihrer Kultur und Geschichte – „hat alles hervorgebracht, erst das Kurfürstentum Brandenburg, dann das Königreich Preußen, schließlich das kurzlebige Deutsche Reich. Es ist, als ob sie sich dabei verzehrt habe. Nun ist alles von ihr abgefallen, was ihr Bedeutung, Glanz und wohl auch Unheimlichkeit gab. Nun ist die alte Mark wieder auf sich selber zurückgeworfen; Brandenburg ist alles, was von Preußen geblieben ist. Legt man die Karte des heutigen Deutschland neben eine Karte aus Staufischer Zeit, so hält man wieder da, wo man vor einem Dreivierteljahrtausend stand, bevor man über die Oder ging und den Heiden und der Wildnis Land abgewann.“ Heute hat das Land vor allem diese reiche Vergangenheit, denn 40 Jahre Sozialismus haben hier größere Schäden hinterlassen als anderswo. Schon der Krieg war grausamer, da die Mark eben direkt auf dem Wege nach Berlin lag, und die letzten großen Schlachten des Weltkrieges – Seelow und Halbe – hier geschlagen wurden. Die Zerstörungen waren gründlicher als in Sachsen und Thüringen. Und dann war der Sozialismus nicht nur eine Absage an die überlieferten Herrschaftsverhältnisse, sondern an die Geschichte selbst. Vieles wurde dem Verfall preisgegeben, und von manchem Gutshaus ist nur noch der Baumbestand erhalten. Erst verließ das dem Hof und der Armee verbundene Bürgertum das Land, dann folgten die Handwerker und zuletzt die Bauern, die die Kollektivierung fürchteten.
„Heute“, so Wolf Jobst Siedler – „mutet die Welt zwischen dem Barnim und der Uckermark merkwürdig geschichtslos an, es fehlt, was ihr so lange Bedeutung gegeben hat: Bürger, Bauer, Edelmann.“ Aber allmählich wird klar, dass gerade die Vergangenheit die Zukunft ist. Ein Industrieland wird die Mark nicht, der Garten eines erneuerten Berlins schon. Auch deshalb läge in der Fusion beider Länder die eigentliche Chance, nicht für ein neues Preußen, aber doch für ein Bundesland, das der historischen Tradition eine wirtschaftliche Basis zu geben vermag. Insofern sind gerade die adligen Rückkehrer, die es gibt, wie die Marwitzens und die Hardenbergs, ein Zeichen für die Zukunftsfähigkeit der Wiege Preußens. Und in einem sind sich alle, ob zurückgekehrter Adel, wiedereinrichtende Bauern oder CDU, SPD oder PDS einig: „In den Staub mit allen Feinden Brandenburgs“ (Heinrich von Kleist, „Prinz Friedrich von Homburg“).
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