Bremen
2006.05.12. 22:18
Bundesländerserie - Teil6
Bundesländer-Serie: Bremen
Von Jürgen Alberts Klein, aber fein: Rathaus und Roland, Hafen und HighTech, Kaffee und Kunst, Becks-Bier und Bremer Stadtmusikanten sind der Stolz der 660 000 Bürgerinnen und Bürger des kleinsten deutschen Bundeslandes. Bremen ist vital und ambitioniert, modern und geschäftstüchtig, pittoresk und märchenhaft, weltoffen und gastfreundlich, wie es sich für eine Freie Hansestadt gehört – auf jeden Fall eine Entdeckung wert. Bundesländer-Serie, Teil 6
Gleich zweimal in den letzten vierzig Jahren mochte ich nicht nach Bremen umziehen. Zum einen wollte ich 1972 den gemütlichen, aber durchaus aufmüpfigen Studienort Tübingen nicht verlassen, um in den kalten Norden zu ziehen, weil die Leute mir dort so stur und unzugänglich zu sein schienen. Zum anderen wollte ich nicht, nach einem einjährigen Rom-Aufenthalt, nach Deutschland zurückkehren. Jedes Mal hat es einige Zeit gedauert, bis ich mich wieder an Bremen gewöhnt habe. Ich habe es danach nie mehr bereut.
Wer die Hansestadt als Tourist besucht, könnte sie nach anderthalb Stunden wieder verlassen. So lange dauert nämlich der historische Rundgang. Von dem wunderschönen Marktplatz mit dem alles überragenden Dom, dem steinernen, trutzigen Roland und den fast verschämt versteckten Stadtmusikanten von Gerhard Marcks, durch die Böttchergasse, die von Bernhard Hoetger gestaltet wurde, ein Stück an der Weser längs, durch einen Tunnel zum Schnoor, dem ältesten Viertel aus dem 16.Jahrhundert mit seinen gedrungenen Handwerksund Fischerhäuschen, hinauf zur Kulturmeile mit Goethe-Theater, Kunsthalle und der neuen Zentralbibliothek im vormaligen Polizeihaus. Das war’s. Ich kann die Führung durchs alte Bremen in fünf Sprachen und alle internationalen Autorenkollegen sind begeistert. So eine kompakte und abwechslungsreiche Stadt. Wunderbar. Marvellous. Maravilhoso. Stupendo. Magnífico. Wer hätte das gedacht? Manche von ihnen hatten Bremen noch nicht mal auf der Europakarte entdeckt. Die meisten Bremer sagen, wenn sie gefragt werden, wo ihre Stadt liegt: südlich von Hamburg. Als sei das eine Entschuldigung dafür, dass wir stets übersehen werden. Sogar auf der Wetterkarte nach der „Tagesschau“ findet Bremen nicht statt.
So viel zur Oberfläche. Bremen ist ja eigentlich ein Dorf. Oder sagen wir viele Dörfer, aneinandergereiht, zu beiden Seiten der Weser, zig Kilometer in der Länge, die Breite so gering, dass man mit dem Fahrrad in zehn Minuten im Grünen ist. Bremens Stadtteile sind durchzogen von Heerstraßen, die niemals viel Militär gesehen haben, ein Viertel am anderen, ein Viertel anders als das nächste, aber jedes mit seinem eigenen Stolz und seiner Tradition. Ein Vegesacker aus Bremen-Nord würde sich nicht unbedingt im „wilden Ostertor“ wohl fühlen. Und umgekehrt. Ein Restaurant wie das im Künstlerhaus Am Deich 68 liegt für die Innenstädter auf der falschen Seite der Weser, obwohl dorthin nur zehn Minuten Fußweg zurückzulegen sind. Und so geht das fort. Und doch hält die Stadt zusammen wie Pech und Schwefel, wenn es um den Erhalt der Selbstständigkeit der Hansestadt geht oder gegen die angedrohte Schließung des örtlichen Rundfunksenders, wenn es um die grünweiße FußballBundesliga-Mannschaft geht oder gegen die Überheblichkeiten der schwesterlichen Hansestadt Hamburg, die von Zeit zu Zeit Bremen für „tiefste Provinz“ hält. Dorthin würde ein Hamburger nicht mal seine Schuhspitze setzen. Und leben schon gar nicht.
Bremen ist offen und liberal, was eine seiner herausragenden Qualitäten ist. Hier wird eine abweichende Meinung geduldet, hier werden Querdenker nicht abgestraft. Die Stadt war schon immer ziemlich links, nicht nur während der Räterepublik in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts, sondern auch noch, als sehr verspätet die Universität 1972 aufs platte Land gesetzt wurde. „Rote Kaderschmiede“ nannte man sie allenthalben und lange haftete ihr dieser Ruf an. Inzwischen haben sich die Vorurteile gelegt und Bremer Akademiker genießen einen hohen Ruf. Das neben der Universität entstandene High-Tech-Viertel mit ungezählten innovativen Betrieben ist ein Beweis dafür, dass sich die ehrwürdige Hansestadt ständig zu erneuern weiß.
„Buten un binnen“, „Wagen und winnen“, so steht es am Schütting, dem Sitz der Handelskammer, der sich am Marktplatz befindet. Und das ist mehr als ein Programm. Nicht zuletzt die „Rotweinnasen, Bierbrauer und Kaffeeröster“, wie ich sie etwas despektierlich in meinen Kriminalromanen genannt habe, sind oft die Mäzene eines aktiven Kulturlebens, das immer weniger von der öffentlichen Hand zu erwarten hat. Da gibt es Opernaufführungen von den Gnaden einer allseits bekannten Kaffeesorte und Musicalpremieren mit der Unterstützung der größten Bank am Platze.
Hilfreich sind dabei in Bremen die kurzen Wege. Fast jeden Tag trifft man den radelnden Bürgermeister oder einen seiner Senatskollegen in der Stadt. Natürlich ohne Bodyguards. Wer etwas zu erreichen sucht, weiß an wen er sich zu wenden hat. Und auch Gerüchte sind oft schnell dort angelangt, wohin man sie lancieren möchte. Bremen ist tatsächlich ein Dorf. Mit der Mentalität einer Metropole, na ja, das wäre zuviel gesagt, eher mit der Mentalität eines Oberzentrums. Denn eines hat der Bremer zu seinem ersten Wahlspruch erkoren: „Bremer, Bremer weest bedächtig“ bescheiden bleiben, ja nicht den Kopf zu weit herausstrecken. Und diejenigen, die dies doch tun, erst mal mit Verachtung strafen. Wenn sie dann andernorts gepriesen werden, dann kann man sich das ja noch mal überlegen.
Bremen ist eine Wasserstadt, obwohl sie sich dazu erst in den letzten zehn Jahren wirklich bekannt hat. Während andere „Oberzentren“ mit ihren Seen und Flüssen schon immer werben und touristisches Kapital erwirtschaften, hat sich Bremen lange Zeit mit ganzen zwei Lokalen an der Weser bescheiden zurückgehalten. Nun ist an der Schlachte eine Essmeile entstanden, mit Biergärten und Weinstuben neben japanischen, mexikanischen und kubanischen Lokalen, sowie ein Anleger mit mehr als fünfzehn Restaurantschiffen und sogar einem Theaterschiff. Spät, aber nicht zu spät, wurden die Qualitäten der Stadt am Strom entdeckt. Aber das Gefühl hat man sicher auch in anderen Städten. Irgendwie kommt man in der eigenen Stadt immer zu spät. Und manchmal ist das ja sogar auch ganz gut so.
„Etwas Besseres als den Tod finden wir überall!“ Warum sind die vier Stadtmusikanten aus dem Grimm’schen Märchen gerade nach Bremen gezogen? Hätten sie sich nicht eine andere, feinere Stadt aussuchen können, um endlich auf die Füße zu kommen? Aber sie sind ja auch niemals hier angekommen. Wie tröstlich. Sie hätten hier bestimmt manchem feisten Bürgersäckel eine schrille Melodei aufspielen können. Denn gelegentlich feiert die hanseatische Behäbigkeit fröhliche Urständ, speziell wenn es darum geht, das allzu Vertraute niemals missen zu wollen.
Ganz anders als die „Sieben Faulen“, das zweite, eher unbekannte Grüppchen, das speziell die Bremer Kinder immer wieder fasziniert. Der Legende nach wurden sieben Söhne von ihren Vätern in die Welt geschickt, um Neues zu erkunden. Sie kamen in die Hansestadt zurück und bauten Brunnen, weil sie es leid waren, jeden Tag Wasser aus dem Fluss heranzuschleppen, oder sie ließen Straßen pflastern, weil sie zu bequem waren, ständig die voll beladenen Karren aus dem Lehmboden zu ziehen. Ihre Väter nannten sie faul. Dabei waren sie die ersten Innovatoren, die mit klugen Überlegungen die Lebensqualität in der Stadt verbessert haben sollen.
„Drei ist Bremer Recht! Der dritte Rollmopsdreher angekommen. Heinrich Dohrmann und Frau.“ So war eine Geburtsanzeige in den Bremer Nachrichten zu Beginn der dreißiger Jahre zu lesen. Die Redensart, die manchmal auch lautet: Dreimal ist Bremer Recht, hat unterschiedliche Wurzeln, die alle etwas vom Bremer Wesen beinhalten. Zum einen lässt sich das Sprichwort aus der Rechtsgeschichte erklären. Bremens Stadtgebiet war damals weiter ausgedehnt und prägte eigene Rechtsgrundsätze im Gegensatz zum gemeinen Recht: Drei Instanzen für einen Rechtsweg, drei Zeugen für die Beweiskraft, dreimalige Proklamation zur Erlangung der Rechtsgültigkeit. Ein juristischer Ableger der heiligen Zahl drei. Zum anderen wurden den Bremern vom Kaiser drei Rechte verliehen: das Tragen von Gold und Pelzwerk für die Ratsherren, die eigene Gerichtsbarkeit und die freie Schifffahrt auf der Weser. Zum dritten gibt es einen Bezug zum benachbarten holländischen Sprachraum: Driemaal is scheepsrecht. Was soviel bedeutete, dass der Schiffer drei Mahlzeiten an seine Leute auszugeben hatte, drei Schläge mit dem Grützlöffel galt als Bestrafung und dreimal ruft man Hurra, wenn die Leiche mit den Worten een, twee, drie in Gods naam über Bord geworfen wurde.
2010 will Bremen Europas Kulturhauptstadt werden. Die Anstrengungen sind allerorten zu spüren. Dann soll es ein Literaturhaus geben, dann sollen die Fassaden auf Hochglanz poliert sein, dann soll es heißen: Europäer, schaut auf diese Stadt, die immer so ein bisschen im Schatten der anderen Städten gestanden hat. Wer wollte hier wegziehen? Ich jedenfalls nicht mehr.
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