Mecklenburg - Vorpommern
2006.07.25. 19:09
Bundesländerserie - Teil 9
Bundesländer-Serie: Mecklenburg-Vorpommern
Von Gregor Sander Rostock und Rügen, Hansestädte und Heiligendamm, Backsteingotik und Bäderarchitektur, Mecklenburgische Seenplatte und Ostseestrand – Mecklenburg-Vorpommern ist inzwischen das beliebteste deutsche Ferienziel. Caspar David Friedrich (1774–1840) hat den Reiz des Landes in seinen Gemälden verewigt. Wir zeigen ein neues Bild des Bundeslandes, das Mecklenburg-Vorpommern der Moderne. Bundesländer-Serie, Teil 8
|
|
Ich lebe seit zwölf Jahren nicht mehr in Mecklenburg. Damals bin ich nach Berlin gezogen, man könnte auch sagen, dass ich geflohen bin. Auch das würde wohl stimmen. Vor dem, was das Land ausmacht und was die meisten Menschen, die hierher zu Besuch kommen, sehr mögen. Die Ruhe, die Beschaulichkeit. Aber Berlin oder zumindest Brandenburg grenzt ja an Mecklenburg, und wenn das nicht so wäre, dann bin ich mir nicht sicher, ob ich nach Berlin gegangen wäre.
Meine Schwester streitet sich immer wieder mit Auswärtigen über die Aussprache von Mecklenburg. Viele sprechen das Wort kurz aus wie „meckern“, und sie erklärt ihnen jedes Mal, dass man es mit einem langen „e“ sagen müsse. Das wollen sie nicht glauben und erwidern, dass es keinen Grund dafür gebe, weder einen sprachlichen noch einen geographischen. Meine Schwester erzählt so immer wieder von einer Linguistikprofessorin an der Freien Universität Berlin, die ihr gegenüber das mecklenburgische Dehnungs-c erwähnte. Sie gewinnt diesen Streit, jedes Mal, ihr konnte das Gegenteil noch nie bewiesen werden.
Stur seien die Menschen an Deutschlands Ostseeküste, sagt man, stur und eigensinnig und langsam. Das Bismarck-Zitat, das werden sie nicht los. „Wenn die Welt untergeht, gehe ich nach Mecklenburg, denn dort geht sie 50 Jahre später unter“, soll der alte Reichskanzler Otto von Bismarck (1815–1898) gesagt haben. Das ertragen sie dort, und manchmal tragen sie es auch vor sich her, wie etwas Besonderes.
Seit 1990 gibt es das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern, das es in dieser Konstellation nur von 1945 bis 1952 gegeben hat, bevor der SED-Staat es in die Bezirke Rostock, Schwerin und Neubrandenburg teilte, nach sowjetischem Vorbild. Mecklenburg-Vorpommern grenzt im Westen an Niedersachsen und Schleswig-Holstein, im Süden an Brandenburg, im Osten an Polen und im Norden mit 340 Kilometern Küste an die Ostsee. Weiße Strände ziehen Jahr für Jahr Tausende Urlauber besonders auf die Inseln Rügen und Hiddensee und die Halbinseln Usedom und Fischland/Darß. Im Frühjahr sind die Straßen an der Küste gelb gesäumt von den Rapsfeldern. Die Landschaft wurde durch die Eiszeit geprägt, man darf sie sich also auf keinen Fall flach vorstellen, auch wenn die höchste Erhebung des Landes, die Helpter Berge, nur 179 Meter hoch sind. Die Gegend zwischen Teterow und Malchin nennt man sogar die „Mecklenburger Schweiz“, weil es hier für norddeutsche Verhältnisse schon fast bergig ist.
Die Mecklenburger und Vorpommern haben seit dem Fall der Mauer 1989 drei Ministerpräsidenten gewählt. Sie kamen aus verschiedenen Parteien, aber sie kamen immer aus dem Land. Fremdimporte aus den alten Bundesländern waren nicht undenkbar, aber es wurde nicht ernsthaft darüber gesprochen. Auch der Fußballtrainer des einzigen ostdeutschen Bundesligavertreters Hansa Rostock ist Mecklenburger. Die Vereinsführung hatte den ehemaligen Assistenztrainer, Juri Schlünz, schon häufiger gebeten, das Amt zu übernehmen. Er sagte immer ab, weil er, seit über 30 Jahren im Verein, Angst davor hatte, es nicht zu schaffen und dann Rostock und Mecklenburg verlassen zu müssen. Vor knapp einem Jahr übernahm er endlich die Mannschaft und führte sie mit Platz neun auf einen der mittleren Ränge.
Es gibt nur 1,7 Millionen Einwohner, also etwa 75 pro Quadratkilometer. Damit ist Mecklenburg-Vorpommern das am wenigsten besiedelte Land in der Bundesrepublik Deutschland. Der Natur bekam und bekommt das. Man findet zwischen Elbe und Oder nicht nur 1764 Seen, sondern auch Kraniche, Fischreiher, Störche, Seeadler, Schreiadler und viele andere seltene Tiere und Pflanzen. Die Menschen sind schweigsam und waren früher protestantisch. Aber 40 Jahre Sozialismus haben die Kirchen geleert. Auch die norddeutsche Sprache, das Plattdeutsche, ist auf dem Rückzug. Richtiges Plattdütsch als eigenständigen Dialekt spricht hier im Norden kaum noch jemand.
Selbst die regionale Küche war fast ausgestorben. Inzwischen findet man auf den Speisekarten, nicht zuletzt wegen der Touristen, mit etwas Glück wieder den Mecklenburger Rippenbraten oder die Mecklenburger Götterspeise. Fisch wird hier oben in allen Variationen gereicht: gebraten, geräuchert, sauer eingelegt oder gekocht. Dem schwarzen Roggenbrot ist häufig Kümmel beigemengt. Aus dem Gewürz wurde, wie im ganzen Norden, auch ein Schnaps gebrannt, der „Köm“, der aber im Gegensatz zur skandinavischen Variante, dem „Aquavit“, kaum noch getrunken wird.
Die wichtigen Städte liegen, mit Ausnahme von Schwerin, Güstrow und Neubrandenburg, an der Ostsee. Alte Hansestädte, bei denen der rote Backstein prägend für die Architektur war. Wismar, Rostock, Stralsund und Greifswald. Sie sind alle klein, nur Rostock hat fast 200 000 Einwohner. Die Landeshauptstadt Schwerin, 40 Kilometer vom Meer entfernt und etwa genauso weit vom schleswig-holsteinischen Lübeck, wirkt wie eine Miniaturausgabe des ganzen Landes. 98000 Einwohner zählte man dort 2003. Das Schloss, mitten in der Stadt auf einer winzigen Insel gelegen, ist architektonisch nicht besonders bedeutend. Aber der ehemalige Hauptsitz der mecklenburgischen Herzöge sieht mit seinen 365 Spitzen und Türmen so aus, wie sich Kinder ein Schloss vorstellen. Groß und prächtig und ein wenig verwunschen.
Doch die Landschaft ist die eigentliche Schönheit im Lande, auch wenn es sich lohnt, den Naturtrip zu unterbrechen, um in Schwerin auf den Dom zu steigen, in Rostock-Warnemünde den großen Schiffen beim Auslaufen zuzusehen oder in Stralsund durch die mittelalterliche Altstadt zu laufen, die immer noch von einer Stadtmauer begrenzt wird. Einer der großen Söhne des Landes, der Maler Caspar David Friedrich (1774–1840), hat diese Landschaft immer wieder porträtiert und so wohl weltberühmt gemacht: die „Kreidefelsen auf Rügen“, das „Eismeer“, „Zwei Fischer am Ostseestrand“.
Eine der Lieblingsbeschäftigungen der Deutschen ist es, am Strand in der Sonne zu liegen und zu baden. Hier in Mecklenburg hat diese Leidenschaft ihren Ursprung. 1793 wurde der kleine Ort Heiligendamm auf Empfehlung des herzöglichen Leibarztes als erster deutscher Badeort mit Sanatorium gegründet. Klassizistische Häuser von einiger Pracht zeugen noch heute davon. 1996 wurden sie an einen Investor verkauft, der nun wieder versucht, aus Heiligendamm ein mondänes Seebad zu machen. Mit Golfplatz und Grandhotel. Aber das Wetter ist eben nicht so verlässlich wie an der Côte d’Azur. Und es gibt auch Probleme mit den Menschen aus der Umgebung und den „Normaltouristen“, die zum „Reichen gucken“ nach Heiligendamm pilgern. Das ist wohl auch nichts Neues, denn den Bauern und Fischern vor über hundert Jahren dürften die badenden Adligen ebenfalls reichlich merkwürdig vorgekommen sein. Hatten sie doch ihre Häuser jahrhundertelang weg vom Meer gebaut, windgeschützt, und baden zu gehen, das wäre meiner Urgroßmutter im Leben nicht eingefallen.
Der Schriftsteller Uwe Johnson (1934–1984) hat das schönste Portrait über das Mecklenburg zwischen 1930 und 1968 geschrieben. Die „Jahrestage“ – fast 2000 Seiten. Er kam nicht zurecht mit der DDR und verließ sie 1959. Aber auch die Bundesrepublik hat er immer mit Abstand und sehr kritisch gesehen. „Wo ich her bin, das gibt es nicht mehr“, sagt Gesine Cresspahl, die Hauptfigur dieses Romans, einmal in New York. Und hat wohl Recht damit, und doch schrieb Uwe Johnson ein Leben lang nur über Mecklenburg, selbst als er schon in Amerika lebte oder in England. Seine Gesine sagt aber an einer anderen Stelle auch: „Das Fischland ist das schönste Land der Welt.“
Und dem will ich mich anschließen. Einen Spaziergang möchte ich empfehlen von Ahrenshoop nach Wustrow an der Steilküste entlang, und das Meer liegt spiegelglatt und blau, oder der Wind peitscht es von Dunkelgrau ins Grün. Und wenn es Herbst wird, leuchtet der Sanddorn auf der Steilküste mit seinen silbernen Blättern und den orangenen Beeren. Ganz nebenbei ist man so von Vorpommern (Ahrenshoop) nach Mecklenburg (Wustrow) gelaufen.
Wenn ich lange genug in Berlin war, dann fliehe ich inzwischen wieder aus dem Trubel der Hauptstadt in die Ruhe des Nordens. Nach Ahrenshoop an die Steilküste, an den Schweriner See oder mit der Fähre auf die Insel Hiddensee. Dann bleibe ich gern für ein paar Tage – und bin hier zu Hause.
Gregor Sander
Der 1968 in Schwerin geborene Autor beeindruckte 2002 mit seinem Debüt „Ich aber bin hier geboren“
www.magazine-deutschland.de
|