Bei Demonstrationen gegen die ungarische Regierung ist es in Budapest zu schweren Krawallen gekommen. Mindestens 150 Menschen wurden verletzt. Die Menge warf mit Steinen und Flaschen und stürmte das staatliche Fernsehen. Ministerpräsident Ferenc Gyurcsany hatte zugegeben, vor den Wahlen gelogen zu haben.
Budapest - Bei den Krawallen wurden in der vergangenen Nacht mindestens 150 Menschen verletzt. Im Anschluss an eine Demonstration von mehr als 10.000 Menschen vor dem Parlament in Budapest stürmten mehrere hundert Menschen die Zentrale des staatlichen Fernsehens. Die Menge warf mit Steinen und Flaschen, die zahlenmäßig deutlich unterlegene Polizei setzte Tränengas und Wasserwerfer ein.
Die Demonstranten besetzten einen Teil des Erdgeschosses der Sendezentrale. Sie forderten die Übertragung einer politischen Botschaft im Fernsehen und erzwangen den Abbruch des Sendebetriebs. Der Ausfall dauerte 80 Minuten.
Budapest: Gewalttätige Proteste gegen Gyurcsany
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Etliche tausend Menschen waren zuvor in mehreren Städten Ungarns gegen Regierungschef Gyurcsany auf die Straße gegangen. Auch vor dem Parlamentssitz in der Hauptstadt kamen Kritiker des Ministerpräsidenten zusammen. Von dieser Kundgebung marschierten dann Medienberichten zufolge 2000 bis 3000 Menschen zum Szabadsag-Platz weiter, wo das nationale Fernsehen seinen Sitz hat.
Auf dem Szabadsag-Platz setzten die wütenden Demonstranten, unter ihnen viele rechtsgerichtete Nationalisten und Hooligans, parkende Autos in Brand. Fernsehbilder zeigten, wie sie einen Wasserwerfer der Polizei mit Steinen bewarfen, auf die Fenster einschlugen und schließlich auf das Wagendach sprangen.
"Wir haben am Morgen, am Abend und in der Nacht gelogen."
In der Nähe des TV-Gebäudes gingen mehrere Autos in Flammen auf. Mehrere tausend Polizisten wurden zur Verstärkung in die Hauptstadt beordert worden. Die Regierung berief für heute Vormittag eine Krisensitzung des Sicherheitskabinetts ein.
Auslöser der Krawalle ist die Veröffentlichung eines Tonbandprotokolls aus einer Fraktionssitzung der regierenden Sozialisten (MZSP). Demnach sagte Ministerpräsident Gyurcsany kurz nach der Parlamentswahl vom 23. April, er habe die Öffentlichkeit über den Zustand der Wirtschaft belogen, um seine Wiederwahl zu sichern. Seine Linkskoalition war zuvor von den Wählern im Amt bestätigt worden. Nach dem Wahlsieg kündigte sie eine Reihe unpopulärer Maßnahmen an, unter anderem Steuererhöhungen und eine Streichung von Subventionen.
Gyurcsany lehnt einen Rücktritt ab. "Die Straße ist keine Lösung", sagte der Ministerpräsident der staatlichen Nachrichtenagentur MTI. "Unsere Aufgabe ist es, den Konflikt zu lösen und eine Krise zu verhindern." Gyurcsany hatte am Sonntag die Authentizität des Tonbandprotokolls bestätigt. Darin wird festgehalten, wie er sagt: "Wir haben am Morgen, am Abend und in der Nacht gelogen." Die Oppositionsparteien forderten gestern daraufhin den Rücktritt des Regierungschefs.
Staatspräsident Laszlo Solyom rügte, dass Gyurcsany das Vertrauen der Menschen in die Demokratie enttäuscht habe. Am 1. Oktober finden in Ungarn landesweit Kommunalwahlen statt.
Nach den schweren nächtlichen Ausschreitungen bot Justizminister Jozsef Petretei am Morgen seinen Rücktritt an. Er begründete die geringe Zahl der Sicherheitskräfte damit, dass die Polizei auf eine friedliche Kundgebung eingestellt gewesen sei. Zudem habe es auch in anderen Städten Demonstrationen gegeben. Gyurcsany habe die Demission des auch für die Polizei zuständigen Ministers aber vorerst nicht angenommen, berichtete der ungarische Rundfunk.
Zu den Hauptproblemen der Volkswirtschaft gehört die Staatsverschuldung. Im Wahlkampf sagte Gyurcsany, das Haushaltsdefizit könne auf 4,7 Prozent des Bruttoinlandprodukts begrenzt werden. Bei Beginn seiner zweiten Amtszeit im Juni kündigte er jedoch an, das Defizit werde auf über zehn Prozent steigen.
als/AP/dpa/AFP
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